Wahrheit und Sicherheit
In einem berühmten Gerichtsfall fragte der Richter: „Was ist Wahrheit?“ Seit Beginn
des philosophischen Denkens wurde mittlerweile viel zu dieser Frage gedacht.
„Mannigfach sind die Theorien der Wahrheit. Ob man sie jedoch als Angleichung
des Denkens an die Wirklichkeit oder als einen ‚Gedanken‘, durch den ausge-
sagt wird was ist; ob man sie als Erschlossenheit des Seins oder als Einträchtig-
keit in den Überzeugungen miteinander kommunizierender Subjekte definiert,
- immer bleibt doch nach klassischer Ansicht die Wahrheit eine Sache von strenger
Allgemeinheit.1“ Aus den Naturwissenschaften wissen wir, dass die Wahrheit
auch eine Frage des Massstabes ist. Zwischen einem Partikelphysiker und einem
Astronomen bewegen sich Welten, wir bewegen uns in der Welt von Newton.
Auch wenn unbestritten ist, dass sich die Erde um die Sonne dreht, so stimmt
auch: „und immer wieder geht die Sonne auf“ wie Udo Jürgens sang. Die
Antwort von Karl Jaspers auf die Frage von Pilatus ist praktisch: „Wahrheit ist
was uns verbindet.2“ Mit anderen Worten, Wahrheit ist eine Teilmenge, es
gibt eine andere Menge die uns trennt. Da sich verschiedene Menschen über ver-
schiedenes verbinden, scheint es auch verschiedene Wahrheiten zu geben.
Beweise dafür gibt es zuhauf, nehmen wir nur schon Parteien (mit ihren Flügeln),
Glaubensgemeinschaften oder die verschiedenen Kulturen und Nationen auf
der Welt.

Wenden wir uns nun der Menge zu, die uns trennt. Da kommen wir zu dem Individuum,
dem Subjekt. Jeder Mensch ist einzigartig und lebt in seiner eigenen Wahrheit. Auch
wenn wir viel Gemeinsames, Allgemeines haben, so sind wir auch Eigen. Jede und jeder
weiss das aus dem eigenen Umkreis, sei es in der Familie, im Freundeskreis oder
unter den Mitarbeitenden. Diese Vielfalt wird seit langem versucht in Typologien zu fassen.
Einige Beispiele: Die Elemente nach Empedokles, die Temperamente nach Galen, die Psychologischen Typen nach Jung oder der Typenindikator nach Myers-Briggs3. Je nach
Kontext sind sie mehr oder weniger hilfreich. Einerseits sind wir nicht jeden Tag
gleich in Form, andererseits, ist jede Taxonomie eine Reduktion der Wirklichkeit.



Fritz Riemann hat eine Typologie erarbeitet, die sich um die Ängste der Menschen dreht.
Er geht davon aus, dass sich jeder Mensch auf seine ihm eigene Weise in die Welt
eingliedert und andererseits auch sich selber sein will. In der Balance zwischen Eingliedern
und sich selber sein, spielen Befürchtungen eine wesentliche Rolle. Der Eine möchte
niemandem zu nahe treten, eine Andere hat Angst nicht geliebt zu werden, die Dritte be-
fürchtet zu wenig Attraktive zu sein und der Vierte möchte die Übersicht nicht verlieren.
Natürlich hat jeder Mensch von allen Teilen etwas in sich, doch manche sind ausgeprägter.
Anders gesagt, wenn wir uns zwei Achsen vorstellen, so sind auf der einen, der Bezieh-
ungsachse, die Pole Nähe und Distanz auf der anderen, der Orientierungsachse sind die Pole Konstanz und Veränderung. Dieses Modell finde ich dann hilfreich, wenn es darum geht
Sicherheit zu schaffen. Es müssen sich ja alle sicher fühlen. Das heisst die Kultur im Unter-
nehmen muss zum Beispiel genügend elastisch sein um den Mitarbeitenden Strukturen
und Freiräume zu geben. Ein befreundeter Künstler hat das als Karikaturen dargestellt für
eine Kampagne, die das Sicherheitskonzept in einem Betrieb stärker integrierte. Später
ist ein Bild entstanden, von dem sie oben einen Ausschnitt sehen.

Andere Modelle helfen, wenn es darum zum Beispiel darum geht eine Risikoanalyse zu
machen.

Es geht also in der Sicherheitsarbeit weniger darum das Richtige entsprechend einer
Wahrheit zu tun, sondern dass ein System erarbeitet wird, in dem die Mitarbeit-
enden zueinander vertrauen haben können. Alles Gesagte, wird von einem Beobachter
zu einem Beobachter gesagt.

Neugierig? Nehmen sie Kontakt auf: E-Mailadresse

1 Manfred Frank; Das Sagbare und das Unsagbare; Seite 141; Suhrkamp 1980.

2 Karl Jaspers; Philosophische Autobiografie, Seite 123; Piper 1977.